"Wenn wir verlorene Bindeglieder wiederfinden wollen, so können wir den Versuch wagen, alte Schriften als letzte glühende Kohlen zu sehen, die kurz vor dem Erlöschen sind und einst zu einem großen Feuer gehörten." So beschreibt es jedenfalls die Urkraft des Nordens.
Was verlieren wir nicht alles im Leben. Sei es der Haustürschlüssel, das Kuscheltier des Kindes aus der Karre beim Spaziergang, zwischenmenschliche Beziehungen, Geld, das Haus, den Überblick, die Orientierung, die Gesundheit, das Leben oder einfach die Besinnung.
Verlust erschüttert erst einmal. Das was man hat, will man behalten. Ist ja logisch. Verlust tut weh. Zumindest augenscheinlich.
Vergleichen wir es mit einer werdenden Mutter. Mir fällt nichts besseres ein, was den Gedanken am besten beschreibt. Eine werdende Mutter trägt ihr Kind 9 Monate in sich, ernährt es, liebt es bereits in den ersten Wochen, obwohl es noch eine kleine Kaulquappe ist und erfreut sich über das Wachstum in sich. Die werdende Mutter selbst blüht gleichzeitig mit - auf unterschiedlichste Art und Weise. Gleichwohl sie dabei immer dicker wird und irgendwann selbst nicht mal mehr ihre eigenen Schuhe zubinden kann, will sie es behalten. Der Prozess dauert bestenfalls so lange bis die Mutter soweit ist und keinen Bock mehr hat.
Der folgende Schmerz ist sowas von egal, denn die Natur sagt: "Du darfst nun selbst!" Beginnen tut das Ganze natürlich mit dem Krabbeln. Den Rest er-kennen die meisten...
Ein Verlust ist es nicht, eher ein Zugewinn, denn nach Geburt erleben wir das individuelle Wachstum der einst noch kleinen Kaulquappe und erinnern uns in vielerlei Hinsicht an uns selbst, wenn wir zurückblicken.
Ein Kind lebt sprichwörtlich mit einer riesigen inneren Flamme, das ohne Erziehungsmaßnahmen, die verrücktesten Dinge anstellt. Mit der Zeit jedoch wird die Flamme kleiner, bis sie irgendwann - nach dem normalen Plan der Erwachsenen - ganz versickert. Eventuell lodert es vielleicht noch, ganz tief unter der Schicht.
Das Lebendige, welches Geschichten erzählen will, wie damals - im hohen Norden.
Alte Geschichten werden heute nur zu gerne vergessen, denn sie sind ja blödsinnig, haben nichts mit der Realität zu tun und kommt man mit denen nur auf irrsinnige Gedanken. "Der Blick nach vorn ist angesagt."
Träumen? Träumen konnten Urvölker super gut. Sie formten aus Erlebtem Geschichten, die lebendig weitergegeben wurden, damit man sich an sie erinnert und von ihnen lernt. Geschichten waren ein bedeutender Teil in Gemeinschaft und wichtig zum Überleben.
Eigenständige Bilder können sich durch erzählte Geschichten in den Köpfen der Zuhörer entwickeln, diese wiederum dann neu erzählt werden. Das ist der Unterschied zwischen Büchern und Filmen. Filme zeigen bereits fertige Bilder.
Bücher sind vergleichbar mit einer Schmiede, diese altes Metall einschmilzt und daraus etwas Neues gießt und ein neues Bindeglied schmiedet. Manchmal entsteht die gleiche Materie, optimalerweise und logisch jedoch entsteht - eine neue Form.
Daniela Sommerhoff
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